Bericht: Mitteldeutscher Marathon 2022 – Olli

Es ist eine ganze Weile her, als ich das letzte Mal einen ausführlichen Bericht zu einem Sportevent geschrieben habe. Ich komme mir etwas eingerostet vor.
Es ist sogar schon Jahre her, als ich mit Susi regelmäßig über Highlights im Hundesport berichtet habe. Diese Zeit war natürlich eng mit unserem geliebten Enzo verknüpft.
Enzo vom Teufelsweg war jahrelang mein bester Kumpel, ein Kumpel der für mich alles gemacht hätte, mit dem wir durch dick und dünn gegangen sind, der uns seit 2006 mit all seiner Energie förmlich durch die Jahre gezogen hat (Es sei erwähnt, dass er nicht sonderlich leinenführig war, deshalb passt die Formulierung: „GEZOGEN“ ;-).
Dieser deutsche Boxer hätte nicht nur für uns, sondern auch wir für ihn alles gemacht. Mit ihm haben wir im Hundesport viele Erfolge gefeiert. Er ist mit auf unserem Hochzeitsbild verewigt, er hat die Geburt von Pauline und den Umzug aufs Land nach Dachritz miterlebt.
Doch so ein Hundeleben ist verdammt kurz, viel zu kurz, wie sich zeigte. Heute liegt er auf unserem riesigen Grundstück unter einem eigens für ihn gepflanzten Apfelbaum.

Rückblickend hatte ich verdammt viel Glück. Denn gerade als ich anfing bequem zu werden, in den 30ern werden das übrigens die meisten von uns, lernte ich einen neuen, sehr interessanten und MERKwürdigen Charakter kennen.
Dieser Jemand war mir gegenüber anfangs recht verschlossen, ja fast schon etwas misstrauisch. Doch mit der Zeit lernte man sich besser kennen. Man ging unter anderem gemeinsam mit den Kollegen der Polifilm zum Mittagessen. Dann passierte etwas.
Ich sollte etwas sagen, was ich noch so manches mal bitter bereuen würde.
Da ich gelegentlich erst rede bevor ich denke, kam es zum Urknall, zum Big-Bang einer neuen Freundschaft, die der zu Enzo in nichts nach stehen sollte.
Während des täglichen Gangs zum Mittagstisch, durch die vielen mit Kunststoff-Granulat bestückten Paletten spazierend und nichts Böses ahnend behauptete ich damals diesem neuen Freund gegenüber, dass ich ihn locker beim 100m-Wettlauf schlagen könne…So weit, so gut. 🙂
Seither ist viel passiert. Seither bin ich viel gelaufen. Sehr viel. Seither bin ich viel Rad gefahren. Seither habe ich an Lauf-Wettkämpfen teilgenommen.
Geschlagen habe ich ihn auf noch keiner einzigen Strecke! 🙂
Die Rede ist natürlich von unserem geschätzten Karsten.
Zur Zeit dieses besagten Big-Bangs beherbergte die Polifilm ca. 1000 Mitarbeiter. Wer konnte denn ahnen, dass ich den einen zum Duell auffordere, der nicht einfach nur sportlich war. Nein, sportlich wäre hier wirklich eine Untertreibung. Wie ich später erfahren sollte hatte er damals schon etliche Marathon-Wettkämpfe, zwei Iron-Mans und viele Radrennen hinter sich. Im Vergleich dazu war ich nur ein Schwibbel-Schwabbel, der Dreck unterm Fingernagel…ein Lappen! 🙂
Wie konnte ich es nur wagen ihn herauszufordern? Was war in mich gefahren?
Ich weiß es bis heute nicht.
Seine Antwort auf diese Duell-Anfrage war gleichermaßen kurz wie Angst einflößend: „Selbst wenn mir die Füße amputiert würden und ich auf „Stumpfen“ los hutsche, bin ich immer noch schneller als Du, mein kleiner Scheißer!“, sagte er.
Nun – er sollte recht behalten.
Damit begann alles. Karsten kommt seitdem fast jeden Freitag und Sonntag zu uns nach Dachritz geradelt, um gemeinsam mit uns bei Kaffee, Kuchen und Brötchen über die wichtigen Dinge des Lebens zu philosophieren. Sonntags allerdings wird das Ganze um eine weitere Komponente erweitert – Sport! Ernsthafter Sport.
Mit Karsten zu trainieren war für mich die ersten ein bis zwei Jahre jedes mal eine Grenzerfahrung. Da ich vorher nur Laufstrecken bis 3000 m kannte, war es für mich unvorstellbar, dass man über 10 km weit laufen kann – und das am Stück.
Inzwischen hat er mich zu einem passablen Läufer geformt, so dass ich unter anderem auf zwei Marathons zurückblicken kann.
Der erste im Jahr 2017 verlief so, wie man sich seinen ersten Marathon vorstellt. Karsten hatte mich perfekt vorbereitet, sowohl in der Theorie, als auch in der Praxis.
Ich lies es locker angehen und schaffte diesen ersten 42,2km-Lauf in einer beachtlichen Zeit von 03h47min. Man verstehe mich nicht falsch, ein Marathon ist immer mit gewissen Qualen verbunden, dennoch habe ich diesen ersten großen Lauf als recht „angenehm“ in Erinnerung behalten.
Ganz anders der zweite Marathon. Durch zwei weitere Trainingsjahre gemeinsam mit meinem „Personal Trainer“ wuchsen die Ansprüche für 2019. Es sollte eine Zeit unter 03h30min erreicht werden, was zwar ambitioniert aber durchaus im Bereich des Möglichen zu sein schien. Es war ein harter Lauf bei dem am Ende 03h:32min zu Buche standen. Das war zwar besser als 2017, hatte aber dennoch den faden Beigeschmack das gesetzte Ziel nicht erreicht zu haben. Nach dem Überqueren der Ziellinie war für mich klar, dass ich nie, NIE NIE NIE wieder einen Marathon bestreiten werde. Dazu waren die erlebten Schmerzen zu groß.
Doch das Gute an uns Menschen ist, dass meistens eher das Positive im Hirn haften bleibt und wir Schmerzen ganz gut verdrängen bzw. vergessen können. Und so kam pünktlich zwei Jahre später wieder die Idee auf, beim Mitteldeutschen Marathon zu starten. Mir fällt gerade auf, dass für diesen Sport ein gewisses Maß an Beklopptheit vorhanden sein muss, anders kann ich mir die Blödheit nicht erklären sich immer wieder zu einem Marathon anmelden zu wollen.
Für 2021 hatten wir zwei große Ziele. Erstens: Olli bestreitet seinen ersten Triathlon. Zweitens: Wir rocken beim Mitteldeutschen Marathon.
Pustekuchen. Corona hatte etwas dagegen.
2021 verstrich also ohne sportliches Wettkampf-Highlight.
Wir wären jedoch nicht die „Schotterflechte Dachritz“ (unser Vereinsname seit einigen Jahren), wenn wir uns von solchen Unwegsamkeiten unterkriegen lassen würden.
Aufgrund der Tatsache, dass ich seit 2019 recht ambitioniert in die Rennrad-Pedale trete war klar, dass im Jahr 2022 ein erstes Radrennen in den Wettkampfkalender rein muss. Relativ schnell fiel die Entscheidung auf das Rennen am Schleizer Dreieck. Der Mitteldeutsche Marathon war natürlich als absolutes Saison-Highlight gesetzt.
Doch das SARS-COV2-Virus machte uns abermals einen Strich durch die Rechnung. Pünktlich wenige Tage für dem Radrennen erkrankten sowohl Karsten, als auch die komplette Familie Stolze jr..
Sollte das Sportjahr 2022 wieder so enden wie bereits das Vorjahr? Dreizehn Tage lang war ich Corona-positiv, Susi mit leichtem Versatz ebenfalls. Auch sie hatte vor, am MDM/Halbmarathon teilzunehmen (ihr erster Halbmarathon-Wettkampf).
Das Radrennen „Schleizer Dreieck“ musste natürlich direkt abgesagt werden. Schade! Es wäre die erste Radrenn-Erfahrung für mich geworden. Aber auch der Herbst-Marathon war in größter Gefahr.
Was zwei Wochen Virus-Erkrankung in der heißen Phase der Marathon-Vorbereitung bedeuten brauche ich dem erfahrenen Läufer nicht zu erklären. Es bedeutete für uns zwei Wochen ein Sportpensum von Null. Null Komma Null!!
Nach diesen zwei Wochen hatten wir Gott sei Dank Urlaub auf Poel, wo wir so langsam wieder zu mentalen und physischen Kräften kamen. Wir, meine geliebte Susi und ich, fingen wieder an, leichte Trainingsläufe zu absolvieren.
Zurück in Dachritz angekommen saßen wir an einem Sonntag mit Karsten beim Kaffee zusammen und wägten unsere Saisonziele ab. Wir fragten uns, ob ein Start in knapp acht Wochen noch realistisch sei.
Nun, wie sich später rausstellte war es realistisch.
In solchen Situationen kann man meiner Ansicht nach zwei Dinge tun. Man kann den Kopf in den Sand stecken und das Ziel ad acta legen, oder man krempelt die Ärmel hoch und fängt an hart zu arbeiten.
Wir hatten uns 2022 für die zweite Variante entschieden. Zum Glück.
Durch die geballte Lauf-Kompetenz unseres erfahrenen Star-Läufers wussten wir sehr genau, was zu tun war.
Die Grundlagenausdauer holten wir uns durch die regelmäßigen Rennradfahrten zur Arbeit ab. Es sei erwähnt, dass sich Karsten, trotz immenser finanzieller Mittel, weigert ein Automobil zu erwerben und sich stattdessen in regelmäßigen Abständen das teuerste Zweirad-Equipment kauft, was am Markt verfügbar ist. 🙂
Das hat zur Folge, dass er jährlich ca. 12000-14000 Radkilometer einsammelt. Allein schon dieser Fakt ist der reine Wahnsinn. Ich für meinen Teil komme nicht annähernd auf dieses Pensum. Ich versuche jedes Jahr die 4000km-Grenze zu knacken, was in etwa 2 Fahrten zur Arbeit pro Woche entspricht.
Das alleine macht natürlich noch keinen schnellen Läufer aus uns. Und so nutzten wir zusätzlich die Freitags-Meetings dazu, Intervall-Läufe zu praktizieren. Das bedeutete für uns ca. 2-3 km warm laufen, um dann abwechselnd 1km im gelb/roten gefolgt von 1 km im regenerativen Puls-Bereich zu laufen. Das ganze ca. vier bis sechs mal mit anschließendem Auslaufen. Karsten läuft so einen schnellen Kilometer bei ca. 03:20 bis 03:30 min/km, während ich irgendwo bei 03:45 bis 04:00 min/km „rumschlüpfere“.
Jetzt musste noch eine Prise Fleiß dazu, was natürlich das Integrieren sehr langer Läufe beinhaltete. Lange Läufe kosten viel Zeit. Zeit, die wir uns in der Hochsaison immer sonntags genehmigen. 25-33 km weit in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Soweit das Trainingskonzept, welches wir die besagten acht Wochen knallhart abgespult haben.
Was doch in den müden Knochen steckt, wenn man mal anfängt die Komfort-Zone zu verlassen.
Die Trainingsläufe wurden von mal zu mal besser und so erwuchs in uns doch wieder die Hoffnung einen ganz passablen Marathon abliefern zu können.
Ich für meinen Teil war so ambitioniert, dass ich sogar ein Klassentreffen mit den Abitur-Kollegen eine Woche vor Marathon sausen ließ, um eine weitere Intervall-Einheit mit Karsten absolvieren zu können. (Und zugegeben: Aus Angst vor einer weiteren Infektion.)
Doch wie heißt es so schön frei nach Andi Brehme: „Hast Du Scheiße am Schuh, hast Du Scheiße am Schuh!“
Dieses Zitat könnte treffender nicht sein, da ich pünktlich sieben Tage vor Marathon-Start an Dünnpfiff erkrankte, welcher sich sehr hartnäckig bis Freitag (zwei Tage vor Wettkampf) hielt.
Diese Tatsache beschäftigte mich sehr. War jetzt alles umsonst? Ist es gefährlich nach einem Darm-Infekt direkt einen Marathon zu laufen? Tausend Gedanken und Zweifel.

Genug des Vorgeplänkels.
Es ist der 09.10.2022, Sonntag um 05:00 Uhr morgens.
Der Wecker klingelt. Normalerweise nutze ich die snooze-Funktion, um den Wecker mindestens zwei weiter Male klingeln zu lassen. Heute allerdings ist alles anders. Heute stehe ich direkt auf und bin putzmunter. Eine erste Ladung Adrenalin schießt mir durch die Adern. „Jetzt schon aufgeregt?“, frage ich mich.
Ich gehe leise aus dem Schlafzimmer und schließe die Tür hinter mir, die Mädels schlafen ja alle noch.
Es gibt jede Menge zu tun. Zuerst mit Freddy (2. Boxergeneration) raus Gassi gehen.
Jetzt muss gefrühstückt werden. Der Appetit ist so früh am Tage bei mir eher begrenzt, doch was sein muss, muss sein. Immerhin wollen wir heute einen Marathon laufen, was ca. 3000 kcal Zusatz-Energie-Bedarf bedeutet. Irgendwie würge ich zwei belegte Brötchen und ein gekochtes Ei runter. So. Jetzt geht es an die Klamotten. Laufhose kurz, darüber Laufhose lang. Ein kurzes Lauf-Shirt, darüber zwei weitere Schichten lange Shirts. Warum so viel? Es ist arschkalt draußen. Gefühlt Null Grad Celsius. Die Puls-Uhr wird umgeschnallt.
Nun wird es das erste mal richtig spannend. Der Gang Richtung Toilette ist mit einer Mischung aus Zuversicht, Hoffnung und Angst verbunden. Ohne an dieser Stelle weiter ins Detail gehen zu wollen kann ich dennoch sagen, es lief ganz gut. Nicht perfekt, aber ok. 🙂

Beim Thema Laufschuhe muss ich etwas weiter ausholen. 2022 ist ja nicht irgendein Jahr, es ist ein Jubiläums-Jahr. Im September wurde zum 40. Mal meine Geburt gefeiert, also sei an dieser Stelle nochmal gesagt: Danke Mama, für meine Geburt! 🙂
Viele tolle Leute kamen zu den großen Feierlichkeiten. Ein paar verrückte schenkten mir auch etwas. Der eine oder andere schenkte mir einen Cierpinski-Gutschein, sogar für eine nagelneue Tischtennisplatte wurde (durch Karsten initiiert) zusammengelegt. Ich konnte das alles kaum fassen. Hab ich wirklich so viele Freunde? Offensichtlich ja!
Als ich dann nach der Feier die Cierpinski-Gutscheine zusammenaddiert hatte, stellte ich fest, dass das ganz schön viel Geld war. So viel Geld, dass man damit etwas durchaus Verrücktes machen könnte. Und so stiefelte ich los und kaufte mir das Beste was es an Wettkampf-Laufschuhen zu kaufen gab. Die Dinger sind ultra-leicht und haben eine „Energie-Rückgewinnungstechnologie“ verbaut. Einfach ausgedrückt: Der technische Laufwahnsinn. Es ist nicht für jeden möglich, sich Laufschuhe für knapp 300 € zu leisten, welche dann nur knapp 300 km überstehen, weil sie daraufhin verschlissen sind. Aber ich hatte jetzt solche Dinger, einfach geil!
Sie mussten natürlich gleich am folgenden Laufsonntag getestet werden. Dafür musste die 10km-Teststrecke herhalten, auf der ich noch nie schneller als 42 Minuten gelaufen bin. An diesem Sonntag, mit diesem Schuh bin ich eine 40:30 gelaufen. Der absolute Irrwitz, da ich noch nicht mal 100% gegeben hatte, und bereits vorher eine Stunde (ca. 12 km) mit Karsten zum warm werden abgespult hatte. In Summe sind wir diesen Tag (es war der 25.9.) übrigens 33 Trainingskilometer abgelaufen. Krass, wenn man sich das auf der Zunge zergehen lässt.

Zurück zum 09. Oktober: Als Straßenschuh wählte ich meine normalen Trainings-Laufschuhe, welche mich schon viele Hundert Kilometer getragen hatten. Im Rucksack landeten natürlich die neuen Superschuhe, welche aber erst kurz vor der Startlinie angezogen werden sollten.
Nun ging es los. Mit dem Auto fuhr ich zu Karsten nach Halle in die Schillerstraße. Danach zu Tino, unserem Team-Manager, Motivator und Edelfan. Dort wurde der Skoda geparkt und Tino übernahm das Ruder. Er brachte uns fast schon traditionell, schnell und sicher zum Startpunkt nach Leipzig an die Weiße Elster in der Nähe der Red-Bull-Arena.
Da waren wir nun, ziemlich genau drei Jahre nach dem letzten Marathon, an genau der gleichen Stelle.
Das Gefühl vor einem Marathon ist immer etwas Besonderes. Viel Aufregung ist im Spiel. Eine innere Unruhe, ja man kann sagen eine Anspannung verbunden mit der eigenen Erwartungshaltung lässt einen erzittern. Viele Fragen schießen einem ständig durch den Kopf. Hat man in der Vorbereitung alles richtig gemacht? Was soll ich am Start anziehen? Wird die Laufuhr funktionieren? Bin ich fit? Hab ich genug Energie-Gels dabei? Soll ich noch etwas trinken? Muss nochmal die Blase entleert werden? Wie teile ich mir das Rennen ein? Bei welchem Puls sollte ich die ersten Kilometer liegen? Das ist wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Fragezeichen, die sich hinter meiner Stirn zusammenbrauen. Eins ist klar, genau um 09 Uhr ertönt das Startsignal.
Jetzt ist es 08:15 Uhr und wir beginnen uns warm zu laufen. Wir merken beim Starten der Puls-Uhren, dass es verdammt lange dauert, bis ein GPS-Signal eingeloggt ist. Was ist denn da nun wieder los? Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, dann ertönt das erlösende Signal der Uhr, um uns zu sagen, dass sie betriebsbereit ist. Wir laufen uns weiter warm. Diesmal ist es für Mitte Oktober bemerkenswert kalt, was für uns bedeutet, dass wir die langen Sachen so lange wie möglich anbehalten müssen, um nicht auszukühlen.
Gegen 08:45 Uhr wechseln wir die Schuhe, die erwähnten Super-Treter kommen jetzt zum Einsatz. Damit laufen wir noch einige 100 m zum Antesten, ob alles gut sitzt. Jetzt ziehen wir die langen Sachen aus, was sich komplett falsch anfühlt, weil es doch so bitter kalt ist. Ich entscheide mich für das kurze Outfit, ergänze es aber um die Armlinge vom Rennrad-Klamotten-Repertoire. Die Dinger sind echt praktisch. Das sind quasi Strümpfe für die Arme, die man aber später, wenn es wärmer werden sollte, einfach zusammenschieben kann. Karsten entscheidet sich ähnlich. Ich glaube, er ist schon mitten „im Tunnel“. So nennen wir das, wenn man in die Konzentrationsphase übergeht. Ab dem Moment ist man kaum noch ansprechbar und aufnahmefähig ist man längst nicht mehr.
Es ist 08:55 Uhr, wir gehen zur Startlinie, wo bereits das restliche Starterfeld auf den Startschuss wartet.
Da stehen wir nun endlich, allen widrigen Bedingungen zum Trotz. Schon alleine das ist dieses Jahr ein Erfolg. Wir sind bereit. Ich trage 9 Energie-Gels am Mann, vier davon in den Händen, der Rest in einer Lauf-Gürteltasche. Ja, klingt ziemlich uncool, Karsten würde es im Leben nicht einfallen sowas zu benutzen. Aber ich bin nicht Karsten, ich bin Olli, ich darf das. 🙂
Noch ein kurzes hallo zu den anderen Lauf-Verrückten, dann fällt auch schon der Startschuss.
Im Sog der anderen Starter läuft man den ersten Kilometer traditionell etwas zu ambitioniert was bei mir in einer Pace von 4:20 min/km endet.
Es läuft anfangs sehr gut bei mir. Ich kann mich an einem Läuferpaar orientieren und laufe die ersten 17-18 km bei einer Durchschnitts-Pace von 04:28 min/km.
Dann kommt die erste kleinere Krise, die Beine geben mir das Signal, dass etwas nicht stimmt. Das Laufen wirkt leicht krampfig. Das ist natürlich viel zu früh für die erste Krisensituation. Ich entschließe mich, etwas Geschwindigkeit rauszunehmen. Auf etwa 04:40 min/km reduziere ich die Geschwindigkeit und laufe nun gemeinsam mit der späteren Zweitplatzierten der Frauen. Dieses Tempo versuche ich so lange wie möglich zu halten. Eins ist klar: An die Zeiten der ersten Kilometer werde ich heute nicht mehr rankommen. Wer weiß, warum der „Einbruch“ heute so früh kommt…evtl. liegt es an der „Kack“-Vorwoche. Was solls, jetzt müssen wir halt durch! 🙂
Bis ca. Kilometer 25 kann ich dieses Niveau halten, dann muss ich wieder ein bisschen rausnehmen, was bis Kilometer 32 einer Geschwindigkeit von 04:47 min/km entspricht. Meine Laufpartnerin muss nun reißen lassen. (das beruhigt mich dann doch etwas, dass ich zumindest vor ihr bleiben werde; sie läuft ein starkes Rennen und wird wie gesagt zweite bei den Frauen!!)
Die letzten 10 Kilometer sind dann richtig schwer, das Pulver ist verschossen. Ich laufe jetzt nur noch um die 5 min/km. Das „Ärgerliche“ an der Situation ist, dass der Puls richtig gut ist. D.h., dass ich im gesamten Wettkampf kaum über die 153 bpm komme, am Ende geht der Puls teilweise sogar runter. Das alles deutet darauf hin, dass nicht die Ausdauer das Problem ist, sondern mir schlicht die Kraft in den Beinen fehlt, um die Geschwindigkeit zu halten.
Der Zick-Zack-Kurs durch die berüchtigte Wohnsiedlung an der B6 ist immer besonders zermürbend. Hat man den hinter sich gebracht muss man noch über die Europa-Chausse/Dieselstraße, dann rechts weg Richtung Thüringer Banhof. Ab jetzt hat man das Ziel mehr oder weniger vor Augen. Am Hauptbahnhof vorbei Richtung Boulevard passiert dann fast noch ein Unglück: Ich bleibe mit dem Fuß an einem Gullideckel hängen und fliege fast „auf die Fresse“. 😀
Offensichtlich läßt mich jetzt auch noch die Konzentration im Stich. Aber ich komme „nur“ massiv ins Straucheln. Ein Stich in der linken Wade signalisiert mir, dass ich tatsächlich kurz vor einem Krampf war. Aber jetzt kann mich nichts mehr aufhalten. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich es tatsächlich unter 03h:20min ins Ziel schaffen kann. Gefühlt muss ich jetzt über jeden Schritt nachdenken. Da vorne ist die Ziellinie. Uuuuuuund…. geschafft!
03 Stunden 17 Minuten und 40 Sekunden stehen zu Buche.
Doch das ist in diesem Moment alles egal. Ich strauchel durch die Zielzone. Da kommt schon Karsten und „fängt“ mich auf. Er ist bereits seit einer halben Stunde im Ziel und hat neben seiner persönlichen Bestzeit (02h47min) den zweiten Platz errungen. Was für ein Tier!!!
Am Ende ein super Wettkampf für uns beide. Wir warten noch auf Susi und Yvonne, die beiden laufen ihren ersten Halbmarathon. Da sind sie. Sie sehen so aus, als könnten sie noch mal 21 km laufen. Tja, die sind halt fit!! 😉 Oder sie haben sich nicht angestrengt, wie auch immer das wird jetzt im Brauhaus ausgewertet. Prost und bis zum nächsten mal!!

Olli