Bericht Mitteldeutscher Marathon 2022 – Karsten

Filamente (von lateinisch filum „Faden“) sind die größten Strukturen im Universum, wobei in einem Satz die Worte Größe oder größte und Universum zu schreiben ein sehr kühnes Vorhaben darstellt. Doch kühnen Vorhaben ist die Quintessenz dieser wahren Geschichte.

In der Clusterung der Materie im Universum kommt nach den Filamenten die Supergalaxienhaufen. Einer dieser Supergalaxienhaufen ist Laniakea, mit rund 100000 Galaxien. Mehr als 3000 Galaxien davon, haben den Virgo-Haufen gebildet und der Dreiecksnebel, Andromeda und die Milchstraße bilden zusammen eine lokale Gruppe innerhalb der Virgo-Struktur.

In einem Seitenarm der Milchstraße, befindet sich ein Sonnensystem, deren dritter Planet viele Namen trägt, Terra, blauer Planet, Globus, Welt oder einfach nur die Erde, genannt wird.

Und genau dort, am 09.10.2022 beginnt diese Geschichte.

Es ist an einem Sonntagmorgen und es ist bitterlich kalt, vielleicht gerade mal 4°C. Die kaltklare Morgenluft lässt den Dunst und die Nebelschwaden über das Wasser wabern. Die Szenerie hat eine intrinsische Eleganz und ästhetische Erhabenheit, doch von all dieser Schönheit und dieser Erhabenheit des Momentums sehe ich genauso viel wie von der Rückseite des Mondes. Komplet andere Dinge rauben mir meine vollständige Aufmerksamkeit.

Leicht bekleidet und 8 Energiegels fest in den Händen haltend, stehe ich mit 200 anderen Startern an den Elsterflutbecken, in der Nähe der Festwiese mitten in Leipzig.

 Ein Blick auf die Sportuhr verrät mir einen Puls von 125 Schläge pro Minute. 125 Schläge, denke ich erschrocken, das ist zu hoch, sogar viel zu hoch für jemanden der nur rumsteht, und ich stehe nur rum. Um genau zu sein stehe ich nicht nur so rum, sondern ich warte auf den Startschuss für den 19. Mitteldeutschen Marathon von Leipzig nach Halle und für mich es ist ein besonderer Marathon, so viel steht schon mal fest. Direkt vor mir ist die große, weiße Startlinie und 42,195 Kilometer Wettkampfstrecke. Hinter mir liegt so einiges, der Tod meines Vaters, eine 2 Jahre andauernde Corona-Pandemie, wo angemessener Anstand, von abgemessenem Abstand abhängte, wo viele geplatzte Wettkämpfe und genauso viele geplatzten Träume, Hoffnungen und Wünsche eine gewisse Lethargie auszulösen drohte.

Vor fast genau 12 Wochen sollte die heiße Phase der Marathonvorbereitung beginnen, und was passierte da? Genau, das Corona-Thema holte mich erneut ein. Nur diesmal nicht als Top-News aus Presse, Funk und Fernsehen, sondern ich bin selbst betroffen und erkrankt. Und als wäre das nicht schon lästig genug, habe ich auch noch Susi und Oli angesteckt. 7 Tage Quarantäne, 7 Tage die Wohnung nicht verlassen, 7 Tage keine Bewegung und 7 Tage kein Sport und kein Training. Und danach? Aus Mangel an Erfahrungen mit einer Coronaerkrankung gab es 14 Tage nur leichtes Training, keine Intensität. Blos kein Risiko mit einer Folgeerkrankung eingehen. Das habe ich mir komplett anders vorgestellt, denn so kurz vor dem entscheidenden Marathonwettkampf ist das schlicht eine totale Katastrophe. Lohnt sich ein Start noch? Die klassische Marathonvorbereitung beträgt 12 Wochen. Jetzt fehlen rund 20% der Zeit. Eine persönliche Bestzeit ist unter solchen Voraussetzungen nicht realistisch. Selbst unter die magische Drei-Stunden-Marathongrenze zu laufen, wird extremst schwierig. Doch wenn eine persönliche Bestzeit kein realistisches Ziel ist, was ist dann das Ziel? Eine 0815 Zeit die ich schon vor 20 Jahren x-mal gelaufen bin?  Dafür soll ich kämpfen, mich abrackern und mich quälen?  Das klingt nicht besonders reizvoll.

Die kleine Schwester von Scheiße ist nicht nur Frau Nett, sie hat auch einen kleinen Bruder und der nennt sich Herr Bequemlichkeit. An einem Sonntagmorgen im Sonnenmonat Juli wogen wir, Susi, Oli und ich, dass Für und das Wieder ab. Der aphoristische Spruch „Es ist wie es ist, also machen wir das Beste draus“ führte uns zu der alles entscheidenden Konklusion, wir starten. Die Bedeutung von „Wir machen das Beste draus“ ist allerdings 8 Wochen raus aus der Komfortzone und rein in ein beinhartes Training, mit Blut, Schweiß und Tränen.

All das liegt nun hinter mir. Es war sehr viel Schweiß dabei, auch ein wenig Blut ist geflossen, und ja, ein paar kleine Tränen, so ganz tief in meiner Seele, für niemanden sichtbar, außer vielleicht für Olli, brachen sich auch ihre Bahn.

Jetzt stehe ich vor dieser großen weißen Starterlinie und vor mir liegen diese 42,195 Kilometer. Eine elektrisierende Aufregung durchströmt meinen gesamten Körper und ich schaue nochmal auf die Uhr. Nein, jetzt sind es schon 128 Schläge pro Minute. Oh Gott, das wird ja immer besser, schießt es mir als sarkastischer Gedanke quer durch den Kopf, denn nun verbrenne ich frühzeitig unnötig eine Menge an wertvollen Kohlenhydraten.

Ob es Oli auch so geht? Ich werfe einen Blick nach hinten, um Oli einen optimistischen Blick zuzuwerfen, doch durch die dichtgedrängt stehenden Läufer sehe ich ihn nicht.

Mein Blick erfasst erneut die große, weiße Startlinie und ein klein wenig abseits, auf der linken Seite, dicht neben der Marathonstrecke, da steht Tino, unser Team-Manager, Betreuer, Chef des Teamfahrzeugs, Edel-Fan und emotionaler Mittelpunkt.

Eine sehr kraftvolle und energiegeladene Stimme ertönt aus den Lautsprechern. Der Moderator des Marathon-Start-Events beginnt den Countdown. Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei zwei, eins! Mit einem lauten Knall ertönt der Startschuss.

Ich explodiere und laufe im Höchsttempo los, um mich vorne in die Spitzengruppe einzuordnen. Dabei laufe ich an Tino vorbei, der mich aufgeregt anschreit: “Karsten, nicht zu schnell beginnen“. Erschrocken fällt mir ein, stimmt ja, ich beginne die Wettkämpfe traditionell immer ein klein wenig zu ambitioniert, zu motiviert, zu euphorisch, zu optimistisch, zu schwungvoll, kurzum ich beginne die Wettkämpfe immer viel, viel zu schnell. Hastiger Uhrencheck, Pace ist 3:30 min/km, oh das ist schnell, denke ich erfreut. Die Herzfrequenz ist bei 152 und steigt und steigt und steigt. Mein eben noch erfreuter Gemütszustand bekommt einen kleinen Dämpfer, okay, die Herzfrequenz ist zu hoch, das ist nicht so gut, ich bin richtig zu schnell, doch egal, den ersten Kilometer laufe ich so und vielleicht auch den zweiten Kilometer, beschließe ich pragmatisch.

Ein Rundum-Blick verrät mir, dass ich mich in einer 5-Mann-Gruppe befinde, die sich schon nach wenigen Metern ganz leicht vom Rest des Läuferfeldes abgesetzt hat.

Ich fange an meine Nebenmänner zu mustern und zu kategorisieren. Direkt vor mir, an der Spitze des Läuferfeldes, befindet sich ein Typ mit einem auffälligem roten Laufshirt und rotem Schweißband um die Stirn, was den Kopf ein wenig länger wirken lässt, als er eigentlich ist. In großer Schrift ist auf seinem Shirt zu lesen Triathlon Sportclub Dresden. Ich taufe ihn auf den Namen „der Fuchs“ Neben ihm, im gleichhohen Tempo laufend, befindet sich ein hochgewachsener Läufer mit Vollbart. Warum auch immer ist er für mich „Obi Wan Kenobi“. Links neben mir befindet sich „die Gazelle“, denn dieser Laufkollege besteht nur aus Kopf, Hals und dann kommen auch schon die Beine. Einen kleinen flinken Läufer, mit grünen Lauf-Shirt nenne ich „Meister Yoda“, und zum Schluss besteht diese kleine Spitzengruppe noch aus dem „Mandalorian“. Er überholt mich immer, um sich danach wieder zurückfallen zu lassen. Sein Gesicht bekomme ich jedoch nie zu sehen.

Meine Sportuhr piepst und vibriert. Der erste Kilometer ist in einer Pace von 3:45 min/km absolviert. Das ist richtig schnell. Nur die Herzfrequenz bereitet mir Sorgen, aktuell bei 166 und das ist völlig außerhalb meines Zielbereichs und viel, viel zu hoch. Wird sich diese hohe Herzfrequenz am Ende rächen? Welchen Preis werde ich bei Kilometer 36 für das viel zu hohe Anfangstempo bezahlen? Na wenn das mal gut geht, denke ich.

Der Fuchs, Obi Wan Kenobi und die Gazelle laufen weiter dieses Höllentempo und ich nehme ein klein wenig an Geschwindigkeit raus, um in meinem Pulsbereich zu kommen. Mein Matchplan sieht vor die ersten 30 Kilometer bei 153 bis 156 bpm zu absolvieren, um dann noch für die restlichen 12 Kilometer Kraft für ein hohes, gleichmäßiges Tempo zu haben. Meine Läuferseele protestiert empört und schreit laut auf, nein Karsten, lass nicht abreisen, lass Obi Wan und den Fuchs nicht davonziehen.  Doch zum Glück siegt die Sapientia in mir und ich besinne mich auf meine guten Vorsätze. Den Plan einhalten, nicht zu schnell beginnen, der Wettkampf ist lang und, ganz wichtig, meinen Herzfrequenzbereich treffen.

Der Mandalorian und Meister Yoda folgen mein Beispiel und es entsteht eine kleine, kaum wahrnehmbare Lücke zu dem Spitzentrio, die sehr langsam, jedoch kontinuierlich immer größer wird. Ich schaue auf die Sportuhr und sehe 156 bpm, mein oberer Pulsbereich. Erneut verringere ich mein Lauftempo und Meister Yoda und der Mandalorian ziehen an mir vorbei. Egal denk ich, Hauptsache die Balance zwischen Herzfrequenz und Tempo stimmt. Schnell wird jetzt der Abstand zum Führungsduo aus Obi Wan und dem Fuchs größer. Zum zweiten Mal piepst und vibriert die Sportuhr. Der zweite Kilometer ist erlaufen.

Mist, der Blick auf meine Uhr verrät mir 3:58 min/km und einen Puls von 150 bpm. Mensch Karsten, hast du keine Lust zu laufen oder was ist los? Ich fange an mit mir selbst zu reden, kein gutes Zeichen.

Leicht genervt von meiner Unfähigkeit im optimalen Pulsbereich zu laufen, erhöhe ich jetzt sehr vorsichtig mein Lauftempo.

Nur ein paar Minuten später schmunzele ich erfreut in mich hinein, der Mandalorian verliert Meter um Meter, nur Meister Yoda ist gefühlt einen Zentimeter pro Schritt schneller. Noch bevor die Uhr das Ergebnis des dritten Kilometer anzeigen kann, ziehe ich mit einem triumphieren den Blick, so als ob ich gerade Olympiasieger auf der Marathonstrecke geworden wäre, an dem Mandalorian vorbei. Und jetzt sofort einen Abstand rauslaufen, bloß nicht langsamer werden, nehme ich mir vor. Noch ein kurzer Uhrencheck, was grundsätzlich völlig unnötig ist, denn ich muss mein Tempo gefunden haben, alles andere wäre verrückt. Doch eine Bestätigung das alles in bester Ordnung ist, tut immer gut.

Etwas hysterisch kichere ich vor mich hin, und wieder nicht den Herzfrequenzbereich getroffen. Was ist denn heute los? Kein Gefühl für die Belastung und das Tempo. Kein Gespür für den Moment und das Geschehen.

Erneut korrigiere ich mein Lauftempo nach unten und schwuppdiwupp überholt mich der Mandalorian erneut.

So zieht sich die Landschaft und viele Kilometer an mir vorbei, in einem schier endlosen gemeinschaftlichen Spiel mit dem Mandalorian des Überholens und überholt werden. Der Fuchs, Obi Wan Kenobi und die Gazelle sehe ich schon lange nicht mehr, und auch Meister Yoda hat einen beträchtlichen Vorsprung herausgelaufen.

Mit der Geschwindigkeit ist es so eine Sache. Es gibt schnelle Geschwindigkeiten und langsame und natürlich ist sie relativ. Die Kontinentaldrift lässt die Kontinente, mit der Geschwindigkeit wie Fingernägel wachsen, sich im weitesten Sinne auf dem Erdmantel bewegen. Das führte dazu, das der indische Subkontinent den euro-asiatischen Kontinent regelrecht rammte und faltete dabei das Himalaya-Gebirge mit samt dem tibetanischen Hochland auf.

Die Monsun Strömungen wurden in direkter Folge gravierend geändert und Ostafrika trocknete aus, was die Regenwaldlandschaft in eine Savanne umformte. Eine spezielle Affenart musste sich den neuen Umweltbedingungen anpassen und lernte den aufrechten Gang.

Genau zu dieser Zeit entstand das Erzgebirge und durch diese Aufschichtung die Leipziger Tieflandsbucht, mit den Flüssen Pleiße, Saale, Mulde und Weiße Elster.

Genau dort befinde ich mich nun. In einem Auenwald zwischen der Weißen Elster und Neue Luppe, bei Kilometer 16, werde ich gefühlt zum tausensten Mal überholt. Meine Laufgeschwindigkeit ist auf 4:05 km/min abgesagt und ich stehe kurz vor einem Wutanfall, was mich auf einem Ruck nochmal 8 Sekunden auf dem Kilometer langsamer werden lässt.

Ich atme tief ein, fokussiere mich und lasse einfach los. Kein Blick auf die Uhr, keine Information über Herzfrequenz und Tempo. Nur ich, meine Intuition, das Laufgefühl, die Strecke und das Ziel, so schnell wie nur möglich nach Halle/Saale auf dem Marktplatz zu laufen.

Und es funktioniert. Die nächsten 10 Kilometer laufe ich in glatten 39 Minuten. Der Mandalorian muss reißen lassen. Schade denn ich habe nicht ein einziges Mal sein Gesicht gesehen. Meister Yoda hole ich recht fix ein. Er versucht sich noch an mich dran zu hängen, doch mein Tempo ist für ihn zu hoch und auch er lässt reißen. Jetzt bin ich im Wettbewerb angekommen.

Jetzt läuft es einfach.

Der 1. Juli 1800 wird in die Geschichte des Saalkreises einen gewaltigen Fußabdruck hinterlassen, jedoch konnte das Karl in diesem Augenblick nicht erfassen. Seine Wangen waren glutrot, vor Aufregung hatte er eine richtige Feuerbirne und seine Bewegungen waren fahrig hektisch, als er auf den Dielen seiner Wirkungsstätte auf und ab ging.

Dieser 1. Juli ist eine laue Sommernach. Die Sterne leuchten am Firmament und der Vollmond verleiht der Szenerie eine mythische Atmosphäre. Doch für Karl hatte diese mystische Atmosphäre keine Bedeutung, ja, er hatte noch nicht einmal einen Blick dafür übrig.

Seine Frau Johanna liegt in den Wehen und beide erwarten im Pfarrhaus von Lochau bei Halle ihren ersten und einzigen Sohn. Nur wenige Minuten später erblickt Johann Heinrich Friedrich Karl Witte das Licht der Welt und wird später einmal der wichtigsten und bedeutendsten Dante-Forscher und Dante-Übersetzer des 19. Jahrhunderts werden.

Als ich in Abstand von 200 Meter an der traditionsreichen Pfarrkirche von Lochau vorbeilaufe, überhole ich gerade die Gazelle. Ich habe keinen Gedanken für Johann Heinrich Friedrich Karl Witte übrig, denn ich bin im Tunnel. Alles passt, ich bin im Flow. Ich fühle in meinen Körper rein, doch alles läuft rund und leicht und locker. Es passt alles noch. Ich bin bereit „All-in“ zu gehen. Noch ein wenig warten, noch ein paar Kilometer in diesem Rhythmus bleiben und den richtigen Moment erwischen.

Das Ortseingangsschild von Döllnitz fliegt förmlich an mir vorbei und 50 Meter vor mir erblicke ich den Fuchs.  Ein wenig später, mitten in Döllnitz, überhole ich ihn. Er sieht schlecht aus und muss so langsam laufen, dass er förmlich steht. Schmunzelnd stelle ich für mich fest, da hat sich am Anfang einer übernommen, kenne ich, kenne ich sogar sehr gut.

Ganz leicht lasse ich meine Herzfrequenz auf 158 bis 160 Schläge pro Minute ansteigen. Das Ortseingangsschild von Halle verleiht mir zusätzliche Motivation. Jetzt geht es rechtsrum zum Osendorfer See. Eine Schlüsselstelle der Marathonstrecke, da rund 31 Kilometer absolviert sind und sich die Straße mit 3% Steigung leicht lang hoch schlängelt. Hier sind schon so einige gute Läufer eingebrochen. 3% Steigung klingen wenig, doch nach so vielen Kilometern in den Beinen sind diese Steigungsprozente sehr giftig.

Ganz vorne, nur 500 Meter vor mir, sehe ich zwei Läufer und das Führungsfahrrad der Spitzengruppe.

Ich bin elektrisiert, denn das bedeutet ich bin der Dritte im Rennen. Jetzt schaue ich doch auf meine Sportuhr, und wow, ich bin auf Kurs Richtung persönlicher Bestzeit. Doch es kommt noch besser, die Spitzengruppe läuft nicht etwa konstant vor mir her, oder baut ihren Vorsprung auf mich aus, nein, ich laufe schneller, ich laufe auf dieses Führungsduo auf. Fieberhaft versuche ich abzuschätzen wie viele Kilometer ich benötige, um aufzuschließen.

Oh, das wird knapp, denn bis zum Ziel sind es nur noch 9 Kilometer. Okay, denke ich und gehe All-in.

All-in ist ein Begriff, den alle Pokerfreunde dieser Welt kennen. Wenn ein Spieler All-In geht, setzt er alle Chips, die er zur Verfügung hat.

In meinen Fall bedeutet das eine Herzfrequenz von 162/163 und intensiv hoffen und atheistisch beten, dass ich mit dieser Intensität bis ins Ziel laufen kann, denn Reserven oder einen Joker habe ich nicht mehr. Mehr kann dieser Körper nicht leisten. Das ist die letzte Patrone, die ich verschießen kann.

Das Führungsduo spaltet sich auf. Ein Läufer, der so gar keine Lauffigur hat, denn er ist genau so breit wie hoch, wird ein klein wenig langsamer. In meiner Gedankenwelt taufe ich diesen Laufkameraden auf den Namen das Quadrat. Jetzt erkenne ich auch die Führenden, es ist Obi Wan Kenobi!

Doch wie hat sich in Herrgottsnamen das Quadrat nach vorne gemogelt? Egal, ich bin wild endschlossen die Lücke zu zulaufen.

Noch bevor ich in Kanena/Bruckdorf linksrum auf die Leipziger-Chaussee einbiege, bin ich überzeugt das Quadrat einzuholen. Ich weiß nicht, wo ich ihn einhole, ich weiß nicht, wann ich ihn einhole, aber ich bin deutlich schneller unterwegs.

Ich laufe am HEP, an der B 6, vorbei und die Leuchtturmsiedlung kommt näher und auch sie ist eine Schlüsselstelle in diesem Marathonwettbewerb. Die Strecke geht kreuz und quer durch diese Siedlung. Irgendwie bin ich hier immer langsam unterwegs und komme gefühlt nicht voran. Auch heute ist es so. Sehr zäh spule ich Schritt um Schritt und Meter um Meter ab. Vor zwei Kilometer war ich wirklich überzeugt das Quadrat hier überholen zu können. Doch nun hat er immer noch rund 100 Meter Vorsprung. Klar bin ich sichtbar schneller, das Quadrat werde ich auch einkassieren, doch bei Obi Wan bin ich mir nicht so sicher. Wir sind bei Kilometer 37 und sein Vorsprung sind gut und gerne 300/350 Meter. Ich komme ran aber halt auch zu langsam.

Brücken sind fantastische Bauwerke, einzigartige Konstruktionen und können architektonische Meisterwerke sein. Die größte, respektive die längste Brücke der Welt ist die Danyang–Kunshan, mit einer Länge von 164,8 km und verbindet den Eisenbahnverkehr von Peking nach Shanghai.

Die aktuell älteste Brücke der Welt, die noch in Benutzung ist, steht, wie konnte es anders sein, in Griechenland. Ihr Name ist die Kazarma-Brücke und ist 3.300 Jahre alt.

Über Schönheit lässt sich bekanntlich streiten. Unstrittig ist, das der Sohn einer deutschen Einwanderfamilie am 5. Januar 1933 den Bau einer der wohl bekanntesten Hängebrücken in der Bucht von San Francisco begonnen hat.

Die geneigte Leserschaft hat es bestimmt bereits erahnt welcher Brücke gemeint ist. Die Rede ist von der Golden Gate Bridge.

Ponte Vecchio ist italienisch und lautet Alte Brücke. Die Ponte Vecchio in Florenz ist die vielleicht am meisten fotografierte Brücke. Nachdem 1333 ein Hochwasser weite Teile der Stadt überflutete und eine an derselben Stelle stehende Holzbrücke zerstört hatte, sicherte man zunächst die Ufer des Arno durch hohe Mauern und errichtete anschließend in zehnjähriger Bauzeit zwischen 1335 und 1345 die heutige Brücke aus Stein. Wer diese epische Schönheit von Brücke erbaut hat, ist unbekannt.

Mit solchen beeindruckenden Superlativen kann die Dieselbrücke in Halle/Saale nicht aufwarten. Sie ist rund 390 Meter lang, überwindet einen Höhenunterschied von 9 Metern und ist damit recht langweilig. Aus optischen/ ästhetischen Aspekten ist die Dieselbrücke nicht nur langweilig, sondern in Beton und Stahl gegossene Tristes.

Auf dem kurzen Stück von der Leuchtturmsiedlung zur Dieselbrücke habe ich mir das Quadrat zurechtgelegt. Im Brückenanstieg möchte ich ihn nicht nur überholen, nein, ich möchte so an ihm vorbeifliegen, dass er keine Lust hat, mit mir mitzulaufen, so an ihm vorbeilaufen, dass es ihn jede Hoffnung raubt, zu kontern. Ich will ihm mit meinem Tempo mental zerstören und demoralisieren.  Obi Wan ist jetzt oben auf der Dieselbrücke. Das Quadrat läuft in den Brückenanstieg rein und ich bin 20 Meter dahinter. Wenige Augenblicke später bin ich im Brückenanstieg und behalte mein Tempo bei, obwohl es nach oben geht. Sofort steigt mein Puls auf 171 an, was sich für mich wie ein klein wenig sterben anfühlt. Ruckzuck sind 20 Meter auf das Quadrat zugelaufen. Als ich an ihm vorbeilaufe, gebe ich ihn einen kleinen Klaps auf den Rücken und sagen in einem mitleidigen Ton, Kleiner wir haben es gleich geschafft, und ziehe an ihm vorbei. Diese psychologische Kriegsführung hätte ich mir sparen können. An seiner Startnummer, die vorne an seiner Brust befestigt ist, sehe ich, es ist ein Staffelläufer. Okay, ist jetzt auch egal, ich muss drauf bleiben und laufe in Vollspeed die Dieselbrücke runter. Obi Wan, der Führende des Marathonwettbewerb, ist nur noch 50 Meter vor mir. Was für eine einmalige Chance, ich brauche einen Plan, denke ich so.

Erstmal auf Obi Wan auflaufen, dann daran bleiben und dann, wer weiß, im Zielsprint ist vielleicht alles möglich.

Ich laufe, was die Beine hergeben. Obi Wan hat nur noch 40 Meter Vorsprung. Mein Puls ist inzwischen bei 174 Schlägen angekommen, Grenzerfahrung. Mein Körper ist so unglaublich belastet und steht kurz vor der totalen Implosion, doch es sind nur noch 2 Kilometer.

Ein letztes Mal versuche ich mich zu motivieren und spreche mit mir selbst. Karsten, Distanz ist, was dein Kopf daraus macht, mein Wille ist meine Grenze, und wenn ich nicht mehr kann, dann laufe ich einfach schneller!

Es funktioniert, ich komme noch näher an den Führenden ran, vielleicht nur noch 35 Meter Rückstand. Wir sind am Thüringer Bahnhof angekommen. Obi Wan läuft 25 Meter vor mir. Doch ich kann den Abstand nicht mehr verkürzen.

Richard David Precht hat voller Weisheit in einen seiner Bücher geschrieben, das Universum baut selten etwas auf, wofür es die Steine nicht woanders herholt. Und ich habe meine Steine am heutigen Tag verbaut. Mein Tempo kann ich nicht mehr halten, und Obi Wan beschleunigt jetzt, da er mich bemerkt hat, auch noch zu allem Überdruss. Aus den 25 Metern Rückstand werden schnell 100 Meter.

Als ich auf die Straße zum Hauptbahnhof einbiege, ist Obi Wan aus meinem Blickfeld sprichwörtlich entlaufen.

Ich bin ein wenig enttäuscht von mir und laufe am Seiteneingang des Hauptbahnhofes entlang, an der Straßenbahnhaltestelle vorbei und biege unten nach links in Richtung Riebeckplatz ab, als mich eine sehr vertraute Stimme motivierend anfeuert, lauf Karsten, lauf. Meine Mama hat sich auf den Gehweg zwischen Riebeckplatz und Hauptbahnhof postiert, um mich und Olli anzufeuern. Mama, antworte ich maximal überrascht und bleibe fast stehen, was machst du denn hier? Lauf weiter, lauf weiter, ruft sie energisch, was mich wieder leicht beschleunigen lässt. Du bist Zweiter höre ich ihre Stimme noch hinter mir hallen. Nun schnell über den Riebeckplatz und den Boulevard mit Schwung nach unten gelaufen. Ich schiele ein letztes Mal auf meine Uhr, das sieht richtig gut aus. Ich höre die Stimmen des Moderators und die Musik aus dem Zielbereich. Nur noch 200 Meter. Mit großen Schritten laufe ich auf die Ziellinie zu. Und geschafft. Die Uhr bleibt bei 2 Stunden, 47 Minuten, 11 Sekunden stehen. Sofort werde ich von Tino in Empfang genommen. Er ist völlig außer sich und hoch emotional. Ganz kurz, für einen Wimpernschlag keimte bei ihm die Hoffnung auf ich könnte diesen Lauf gewinnen, denn der Sieger ist gerade mal 30 Sekunden vor mir ins Ziel gekommen.

Ich muss lächeln. Nein dieses Jahr nicht. Diesmal war ein anderer besser und hat zu Recht gewonnen. Doch den zweiten Platz habe ich mir erkämpft.

Der Schmerz wird vergehen, doch der Stolz bleibt.

Apropo Stolz oder besser gesagt Stolze. Wie wird es Olli so ergehen, frag ich mich. Doch das ist eine andere Geschichte, die ein anderer viel besser erzählen kann.

Epilog

Ich sitze mit Nina in der Schillerstraße und diese Geschichte ist zu Ende geschrieben. Doch mit den kleinen Ausschweifungen in die Welt der Physik, Geologie und Architektur ist Nina nicht ganz zufrieden. Wo sind die Erwähnungen der schieren Unmengen an Essen, die ich höchstwahrscheinlich vertilgt haben werde? Frei nach René Descartes müsste ich schreiben, ich esse also bin ich. Oder der Kopf macht die Distanz doch die Distanz zum Essen sollte so klein wie möglich sein. Ohne Nahrung keine Kalorien und Fette, die der Körper verbrennen kann, um solch eine Strecke in, wenn möglich persönlicher Bestzeit, zu meistern. Und so schließt sich der Kreis. Ich esse, also bin ich – Marathonläufer.

Eine andere wichtige Frage, und wie die Nahrungsaufnahme auch ein Grundbedürfnis, das erst befriedigt werden muss um auf der Leiter zur Selbstverwirklichung nach ganz oben zu steigen, ist der Schlaf. Warum bleiben die vielen, vielen Stunden Schlaf, die ich benötige unerwähnt? Auf nicht jede Frage gibt es eine Antwort. 😊

Bericht: Mitteldeutscher Marathon 2022 – Olli

Es ist eine ganze Weile her, als ich das letzte Mal einen ausführlichen Bericht zu einem Sportevent geschrieben habe. Ich komme mir etwas eingerostet vor.
Es ist sogar schon Jahre her, als ich mit Susi regelmäßig über Highlights im Hundesport berichtet habe. Diese Zeit war natürlich eng mit unserem geliebten Enzo verknüpft.
Enzo vom Teufelsweg war jahrelang mein bester Kumpel, ein Kumpel der für mich alles gemacht hätte, mit dem wir durch dick und dünn gegangen sind, der uns seit 2006 mit all seiner Energie förmlich durch die Jahre gezogen hat (Es sei erwähnt, dass er nicht sonderlich leinenführig war, deshalb passt die Formulierung: „GEZOGEN“ ;-).
Dieser deutsche Boxer hätte nicht nur für uns, sondern auch wir für ihn alles gemacht. Mit ihm haben wir im Hundesport viele Erfolge gefeiert. Er ist mit auf unserem Hochzeitsbild verewigt, er hat die Geburt von Pauline und den Umzug aufs Land nach Dachritz miterlebt.
Doch so ein Hundeleben ist verdammt kurz, viel zu kurz, wie sich zeigte. Heute liegt er auf unserem riesigen Grundstück unter einem eigens für ihn gepflanzten Apfelbaum.

Rückblickend hatte ich verdammt viel Glück. Denn gerade als ich anfing bequem zu werden, in den 30ern werden das übrigens die meisten von uns, lernte ich einen neuen, sehr interessanten und MERKwürdigen Charakter kennen.
Dieser Jemand war mir gegenüber anfangs recht verschlossen, ja fast schon etwas misstrauisch. Doch mit der Zeit lernte man sich besser kennen. Man ging unter anderem gemeinsam mit den Kollegen der Polifilm zum Mittagessen. Dann passierte etwas.
Ich sollte etwas sagen, was ich noch so manches mal bitter bereuen würde.
Da ich gelegentlich erst rede bevor ich denke, kam es zum Urknall, zum Big-Bang einer neuen Freundschaft, die der zu Enzo in nichts nach stehen sollte.
Während des täglichen Gangs zum Mittagstisch, durch die vielen mit Kunststoff-Granulat bestückten Paletten spazierend und nichts Böses ahnend behauptete ich damals diesem neuen Freund gegenüber, dass ich ihn locker beim 100m-Wettlauf schlagen könne…So weit, so gut. 🙂
Seither ist viel passiert. Seither bin ich viel gelaufen. Sehr viel. Seither bin ich viel Rad gefahren. Seither habe ich an Lauf-Wettkämpfen teilgenommen.
Geschlagen habe ich ihn auf noch keiner einzigen Strecke! 🙂
Die Rede ist natürlich von unserem geschätzten Karsten.
Zur Zeit dieses besagten Big-Bangs beherbergte die Polifilm ca. 1000 Mitarbeiter. Wer konnte denn ahnen, dass ich den einen zum Duell auffordere, der nicht einfach nur sportlich war. Nein, sportlich wäre hier wirklich eine Untertreibung. Wie ich später erfahren sollte hatte er damals schon etliche Marathon-Wettkämpfe, zwei Iron-Mans und viele Radrennen hinter sich. Im Vergleich dazu war ich nur ein Schwibbel-Schwabbel, der Dreck unterm Fingernagel…ein Lappen! 🙂
Wie konnte ich es nur wagen ihn herauszufordern? Was war in mich gefahren?
Ich weiß es bis heute nicht.
Seine Antwort auf diese Duell-Anfrage war gleichermaßen kurz wie Angst einflößend: „Selbst wenn mir die Füße amputiert würden und ich auf „Stumpfen“ los hutsche, bin ich immer noch schneller als Du, mein kleiner Scheißer!“, sagte er.
Nun – er sollte recht behalten.
Damit begann alles. Karsten kommt seitdem fast jeden Freitag und Sonntag zu uns nach Dachritz geradelt, um gemeinsam mit uns bei Kaffee, Kuchen und Brötchen über die wichtigen Dinge des Lebens zu philosophieren. Sonntags allerdings wird das Ganze um eine weitere Komponente erweitert – Sport! Ernsthafter Sport.
Mit Karsten zu trainieren war für mich die ersten ein bis zwei Jahre jedes mal eine Grenzerfahrung. Da ich vorher nur Laufstrecken bis 3000 m kannte, war es für mich unvorstellbar, dass man über 10 km weit laufen kann – und das am Stück.
Inzwischen hat er mich zu einem passablen Läufer geformt, so dass ich unter anderem auf zwei Marathons zurückblicken kann.
Der erste im Jahr 2017 verlief so, wie man sich seinen ersten Marathon vorstellt. Karsten hatte mich perfekt vorbereitet, sowohl in der Theorie, als auch in der Praxis.
Ich lies es locker angehen und schaffte diesen ersten 42,2km-Lauf in einer beachtlichen Zeit von 03h47min. Man verstehe mich nicht falsch, ein Marathon ist immer mit gewissen Qualen verbunden, dennoch habe ich diesen ersten großen Lauf als recht „angenehm“ in Erinnerung behalten.
Ganz anders der zweite Marathon. Durch zwei weitere Trainingsjahre gemeinsam mit meinem „Personal Trainer“ wuchsen die Ansprüche für 2019. Es sollte eine Zeit unter 03h30min erreicht werden, was zwar ambitioniert aber durchaus im Bereich des Möglichen zu sein schien. Es war ein harter Lauf bei dem am Ende 03h:32min zu Buche standen. Das war zwar besser als 2017, hatte aber dennoch den faden Beigeschmack das gesetzte Ziel nicht erreicht zu haben. Nach dem Überqueren der Ziellinie war für mich klar, dass ich nie, NIE NIE NIE wieder einen Marathon bestreiten werde. Dazu waren die erlebten Schmerzen zu groß.
Doch das Gute an uns Menschen ist, dass meistens eher das Positive im Hirn haften bleibt und wir Schmerzen ganz gut verdrängen bzw. vergessen können. Und so kam pünktlich zwei Jahre später wieder die Idee auf, beim Mitteldeutschen Marathon zu starten. Mir fällt gerade auf, dass für diesen Sport ein gewisses Maß an Beklopptheit vorhanden sein muss, anders kann ich mir die Blödheit nicht erklären sich immer wieder zu einem Marathon anmelden zu wollen.
Für 2021 hatten wir zwei große Ziele. Erstens: Olli bestreitet seinen ersten Triathlon. Zweitens: Wir rocken beim Mitteldeutschen Marathon.
Pustekuchen. Corona hatte etwas dagegen.
2021 verstrich also ohne sportliches Wettkampf-Highlight.
Wir wären jedoch nicht die „Schotterflechte Dachritz“ (unser Vereinsname seit einigen Jahren), wenn wir uns von solchen Unwegsamkeiten unterkriegen lassen würden.
Aufgrund der Tatsache, dass ich seit 2019 recht ambitioniert in die Rennrad-Pedale trete war klar, dass im Jahr 2022 ein erstes Radrennen in den Wettkampfkalender rein muss. Relativ schnell fiel die Entscheidung auf das Rennen am Schleizer Dreieck. Der Mitteldeutsche Marathon war natürlich als absolutes Saison-Highlight gesetzt.
Doch das SARS-COV2-Virus machte uns abermals einen Strich durch die Rechnung. Pünktlich wenige Tage für dem Radrennen erkrankten sowohl Karsten, als auch die komplette Familie Stolze jr..
Sollte das Sportjahr 2022 wieder so enden wie bereits das Vorjahr? Dreizehn Tage lang war ich Corona-positiv, Susi mit leichtem Versatz ebenfalls. Auch sie hatte vor, am MDM/Halbmarathon teilzunehmen (ihr erster Halbmarathon-Wettkampf).
Das Radrennen „Schleizer Dreieck“ musste natürlich direkt abgesagt werden. Schade! Es wäre die erste Radrenn-Erfahrung für mich geworden. Aber auch der Herbst-Marathon war in größter Gefahr.
Was zwei Wochen Virus-Erkrankung in der heißen Phase der Marathon-Vorbereitung bedeuten brauche ich dem erfahrenen Läufer nicht zu erklären. Es bedeutete für uns zwei Wochen ein Sportpensum von Null. Null Komma Null!!
Nach diesen zwei Wochen hatten wir Gott sei Dank Urlaub auf Poel, wo wir so langsam wieder zu mentalen und physischen Kräften kamen. Wir, meine geliebte Susi und ich, fingen wieder an, leichte Trainingsläufe zu absolvieren.
Zurück in Dachritz angekommen saßen wir an einem Sonntag mit Karsten beim Kaffee zusammen und wägten unsere Saisonziele ab. Wir fragten uns, ob ein Start in knapp acht Wochen noch realistisch sei.
Nun, wie sich später rausstellte war es realistisch.
In solchen Situationen kann man meiner Ansicht nach zwei Dinge tun. Man kann den Kopf in den Sand stecken und das Ziel ad acta legen, oder man krempelt die Ärmel hoch und fängt an hart zu arbeiten.
Wir hatten uns 2022 für die zweite Variante entschieden. Zum Glück.
Durch die geballte Lauf-Kompetenz unseres erfahrenen Star-Läufers wussten wir sehr genau, was zu tun war.
Die Grundlagenausdauer holten wir uns durch die regelmäßigen Rennradfahrten zur Arbeit ab. Es sei erwähnt, dass sich Karsten, trotz immenser finanzieller Mittel, weigert ein Automobil zu erwerben und sich stattdessen in regelmäßigen Abständen das teuerste Zweirad-Equipment kauft, was am Markt verfügbar ist. 🙂
Das hat zur Folge, dass er jährlich ca. 12000-14000 Radkilometer einsammelt. Allein schon dieser Fakt ist der reine Wahnsinn. Ich für meinen Teil komme nicht annähernd auf dieses Pensum. Ich versuche jedes Jahr die 4000km-Grenze zu knacken, was in etwa 2 Fahrten zur Arbeit pro Woche entspricht.
Das alleine macht natürlich noch keinen schnellen Läufer aus uns. Und so nutzten wir zusätzlich die Freitags-Meetings dazu, Intervall-Läufe zu praktizieren. Das bedeutete für uns ca. 2-3 km warm laufen, um dann abwechselnd 1km im gelb/roten gefolgt von 1 km im regenerativen Puls-Bereich zu laufen. Das ganze ca. vier bis sechs mal mit anschließendem Auslaufen. Karsten läuft so einen schnellen Kilometer bei ca. 03:20 bis 03:30 min/km, während ich irgendwo bei 03:45 bis 04:00 min/km „rumschlüpfere“.
Jetzt musste noch eine Prise Fleiß dazu, was natürlich das Integrieren sehr langer Läufe beinhaltete. Lange Läufe kosten viel Zeit. Zeit, die wir uns in der Hochsaison immer sonntags genehmigen. 25-33 km weit in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Soweit das Trainingskonzept, welches wir die besagten acht Wochen knallhart abgespult haben.
Was doch in den müden Knochen steckt, wenn man mal anfängt die Komfort-Zone zu verlassen.
Die Trainingsläufe wurden von mal zu mal besser und so erwuchs in uns doch wieder die Hoffnung einen ganz passablen Marathon abliefern zu können.
Ich für meinen Teil war so ambitioniert, dass ich sogar ein Klassentreffen mit den Abitur-Kollegen eine Woche vor Marathon sausen ließ, um eine weitere Intervall-Einheit mit Karsten absolvieren zu können. (Und zugegeben: Aus Angst vor einer weiteren Infektion.)
Doch wie heißt es so schön frei nach Andi Brehme: „Hast Du Scheiße am Schuh, hast Du Scheiße am Schuh!“
Dieses Zitat könnte treffender nicht sein, da ich pünktlich sieben Tage vor Marathon-Start an Dünnpfiff erkrankte, welcher sich sehr hartnäckig bis Freitag (zwei Tage vor Wettkampf) hielt.
Diese Tatsache beschäftigte mich sehr. War jetzt alles umsonst? Ist es gefährlich nach einem Darm-Infekt direkt einen Marathon zu laufen? Tausend Gedanken und Zweifel.

Genug des Vorgeplänkels.
Es ist der 09.10.2022, Sonntag um 05:00 Uhr morgens.
Der Wecker klingelt. Normalerweise nutze ich die snooze-Funktion, um den Wecker mindestens zwei weiter Male klingeln zu lassen. Heute allerdings ist alles anders. Heute stehe ich direkt auf und bin putzmunter. Eine erste Ladung Adrenalin schießt mir durch die Adern. „Jetzt schon aufgeregt?“, frage ich mich.
Ich gehe leise aus dem Schlafzimmer und schließe die Tür hinter mir, die Mädels schlafen ja alle noch.
Es gibt jede Menge zu tun. Zuerst mit Freddy (2. Boxergeneration) raus Gassi gehen.
Jetzt muss gefrühstückt werden. Der Appetit ist so früh am Tage bei mir eher begrenzt, doch was sein muss, muss sein. Immerhin wollen wir heute einen Marathon laufen, was ca. 3000 kcal Zusatz-Energie-Bedarf bedeutet. Irgendwie würge ich zwei belegte Brötchen und ein gekochtes Ei runter. So. Jetzt geht es an die Klamotten. Laufhose kurz, darüber Laufhose lang. Ein kurzes Lauf-Shirt, darüber zwei weitere Schichten lange Shirts. Warum so viel? Es ist arschkalt draußen. Gefühlt Null Grad Celsius. Die Puls-Uhr wird umgeschnallt.
Nun wird es das erste mal richtig spannend. Der Gang Richtung Toilette ist mit einer Mischung aus Zuversicht, Hoffnung und Angst verbunden. Ohne an dieser Stelle weiter ins Detail gehen zu wollen kann ich dennoch sagen, es lief ganz gut. Nicht perfekt, aber ok. 🙂

Beim Thema Laufschuhe muss ich etwas weiter ausholen. 2022 ist ja nicht irgendein Jahr, es ist ein Jubiläums-Jahr. Im September wurde zum 40. Mal meine Geburt gefeiert, also sei an dieser Stelle nochmal gesagt: Danke Mama, für meine Geburt! 🙂
Viele tolle Leute kamen zu den großen Feierlichkeiten. Ein paar verrückte schenkten mir auch etwas. Der eine oder andere schenkte mir einen Cierpinski-Gutschein, sogar für eine nagelneue Tischtennisplatte wurde (durch Karsten initiiert) zusammengelegt. Ich konnte das alles kaum fassen. Hab ich wirklich so viele Freunde? Offensichtlich ja!
Als ich dann nach der Feier die Cierpinski-Gutscheine zusammenaddiert hatte, stellte ich fest, dass das ganz schön viel Geld war. So viel Geld, dass man damit etwas durchaus Verrücktes machen könnte. Und so stiefelte ich los und kaufte mir das Beste was es an Wettkampf-Laufschuhen zu kaufen gab. Die Dinger sind ultra-leicht und haben eine „Energie-Rückgewinnungstechnologie“ verbaut. Einfach ausgedrückt: Der technische Laufwahnsinn. Es ist nicht für jeden möglich, sich Laufschuhe für knapp 300 € zu leisten, welche dann nur knapp 300 km überstehen, weil sie daraufhin verschlissen sind. Aber ich hatte jetzt solche Dinger, einfach geil!
Sie mussten natürlich gleich am folgenden Laufsonntag getestet werden. Dafür musste die 10km-Teststrecke herhalten, auf der ich noch nie schneller als 42 Minuten gelaufen bin. An diesem Sonntag, mit diesem Schuh bin ich eine 40:30 gelaufen. Der absolute Irrwitz, da ich noch nicht mal 100% gegeben hatte, und bereits vorher eine Stunde (ca. 12 km) mit Karsten zum warm werden abgespult hatte. In Summe sind wir diesen Tag (es war der 25.9.) übrigens 33 Trainingskilometer abgelaufen. Krass, wenn man sich das auf der Zunge zergehen lässt.

Zurück zum 09. Oktober: Als Straßenschuh wählte ich meine normalen Trainings-Laufschuhe, welche mich schon viele Hundert Kilometer getragen hatten. Im Rucksack landeten natürlich die neuen Superschuhe, welche aber erst kurz vor der Startlinie angezogen werden sollten.
Nun ging es los. Mit dem Auto fuhr ich zu Karsten nach Halle in die Schillerstraße. Danach zu Tino, unserem Team-Manager, Motivator und Edelfan. Dort wurde der Skoda geparkt und Tino übernahm das Ruder. Er brachte uns fast schon traditionell, schnell und sicher zum Startpunkt nach Leipzig an die Weiße Elster in der Nähe der Red-Bull-Arena.
Da waren wir nun, ziemlich genau drei Jahre nach dem letzten Marathon, an genau der gleichen Stelle.
Das Gefühl vor einem Marathon ist immer etwas Besonderes. Viel Aufregung ist im Spiel. Eine innere Unruhe, ja man kann sagen eine Anspannung verbunden mit der eigenen Erwartungshaltung lässt einen erzittern. Viele Fragen schießen einem ständig durch den Kopf. Hat man in der Vorbereitung alles richtig gemacht? Was soll ich am Start anziehen? Wird die Laufuhr funktionieren? Bin ich fit? Hab ich genug Energie-Gels dabei? Soll ich noch etwas trinken? Muss nochmal die Blase entleert werden? Wie teile ich mir das Rennen ein? Bei welchem Puls sollte ich die ersten Kilometer liegen? Das ist wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Fragezeichen, die sich hinter meiner Stirn zusammenbrauen. Eins ist klar, genau um 09 Uhr ertönt das Startsignal.
Jetzt ist es 08:15 Uhr und wir beginnen uns warm zu laufen. Wir merken beim Starten der Puls-Uhren, dass es verdammt lange dauert, bis ein GPS-Signal eingeloggt ist. Was ist denn da nun wieder los? Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, dann ertönt das erlösende Signal der Uhr, um uns zu sagen, dass sie betriebsbereit ist. Wir laufen uns weiter warm. Diesmal ist es für Mitte Oktober bemerkenswert kalt, was für uns bedeutet, dass wir die langen Sachen so lange wie möglich anbehalten müssen, um nicht auszukühlen.
Gegen 08:45 Uhr wechseln wir die Schuhe, die erwähnten Super-Treter kommen jetzt zum Einsatz. Damit laufen wir noch einige 100 m zum Antesten, ob alles gut sitzt. Jetzt ziehen wir die langen Sachen aus, was sich komplett falsch anfühlt, weil es doch so bitter kalt ist. Ich entscheide mich für das kurze Outfit, ergänze es aber um die Armlinge vom Rennrad-Klamotten-Repertoire. Die Dinger sind echt praktisch. Das sind quasi Strümpfe für die Arme, die man aber später, wenn es wärmer werden sollte, einfach zusammenschieben kann. Karsten entscheidet sich ähnlich. Ich glaube, er ist schon mitten „im Tunnel“. So nennen wir das, wenn man in die Konzentrationsphase übergeht. Ab dem Moment ist man kaum noch ansprechbar und aufnahmefähig ist man längst nicht mehr.
Es ist 08:55 Uhr, wir gehen zur Startlinie, wo bereits das restliche Starterfeld auf den Startschuss wartet.
Da stehen wir nun endlich, allen widrigen Bedingungen zum Trotz. Schon alleine das ist dieses Jahr ein Erfolg. Wir sind bereit. Ich trage 9 Energie-Gels am Mann, vier davon in den Händen, der Rest in einer Lauf-Gürteltasche. Ja, klingt ziemlich uncool, Karsten würde es im Leben nicht einfallen sowas zu benutzen. Aber ich bin nicht Karsten, ich bin Olli, ich darf das. 🙂
Noch ein kurzes hallo zu den anderen Lauf-Verrückten, dann fällt auch schon der Startschuss.
Im Sog der anderen Starter läuft man den ersten Kilometer traditionell etwas zu ambitioniert was bei mir in einer Pace von 4:20 min/km endet.
Es läuft anfangs sehr gut bei mir. Ich kann mich an einem Läuferpaar orientieren und laufe die ersten 17-18 km bei einer Durchschnitts-Pace von 04:28 min/km.
Dann kommt die erste kleinere Krise, die Beine geben mir das Signal, dass etwas nicht stimmt. Das Laufen wirkt leicht krampfig. Das ist natürlich viel zu früh für die erste Krisensituation. Ich entschließe mich, etwas Geschwindigkeit rauszunehmen. Auf etwa 04:40 min/km reduziere ich die Geschwindigkeit und laufe nun gemeinsam mit der späteren Zweitplatzierten der Frauen. Dieses Tempo versuche ich so lange wie möglich zu halten. Eins ist klar: An die Zeiten der ersten Kilometer werde ich heute nicht mehr rankommen. Wer weiß, warum der „Einbruch“ heute so früh kommt…evtl. liegt es an der „Kack“-Vorwoche. Was solls, jetzt müssen wir halt durch! 🙂
Bis ca. Kilometer 25 kann ich dieses Niveau halten, dann muss ich wieder ein bisschen rausnehmen, was bis Kilometer 32 einer Geschwindigkeit von 04:47 min/km entspricht. Meine Laufpartnerin muss nun reißen lassen. (das beruhigt mich dann doch etwas, dass ich zumindest vor ihr bleiben werde; sie läuft ein starkes Rennen und wird wie gesagt zweite bei den Frauen!!)
Die letzten 10 Kilometer sind dann richtig schwer, das Pulver ist verschossen. Ich laufe jetzt nur noch um die 5 min/km. Das „Ärgerliche“ an der Situation ist, dass der Puls richtig gut ist. D.h., dass ich im gesamten Wettkampf kaum über die 153 bpm komme, am Ende geht der Puls teilweise sogar runter. Das alles deutet darauf hin, dass nicht die Ausdauer das Problem ist, sondern mir schlicht die Kraft in den Beinen fehlt, um die Geschwindigkeit zu halten.
Der Zick-Zack-Kurs durch die berüchtigte Wohnsiedlung an der B6 ist immer besonders zermürbend. Hat man den hinter sich gebracht muss man noch über die Europa-Chausse/Dieselstraße, dann rechts weg Richtung Thüringer Banhof. Ab jetzt hat man das Ziel mehr oder weniger vor Augen. Am Hauptbahnhof vorbei Richtung Boulevard passiert dann fast noch ein Unglück: Ich bleibe mit dem Fuß an einem Gullideckel hängen und fliege fast „auf die Fresse“. 😀
Offensichtlich läßt mich jetzt auch noch die Konzentration im Stich. Aber ich komme „nur“ massiv ins Straucheln. Ein Stich in der linken Wade signalisiert mir, dass ich tatsächlich kurz vor einem Krampf war. Aber jetzt kann mich nichts mehr aufhalten. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich es tatsächlich unter 03h:20min ins Ziel schaffen kann. Gefühlt muss ich jetzt über jeden Schritt nachdenken. Da vorne ist die Ziellinie. Uuuuuuund…. geschafft!
03 Stunden 17 Minuten und 40 Sekunden stehen zu Buche.
Doch das ist in diesem Moment alles egal. Ich strauchel durch die Zielzone. Da kommt schon Karsten und „fängt“ mich auf. Er ist bereits seit einer halben Stunde im Ziel und hat neben seiner persönlichen Bestzeit (02h47min) den zweiten Platz errungen. Was für ein Tier!!!
Am Ende ein super Wettkampf für uns beide. Wir warten noch auf Susi und Yvonne, die beiden laufen ihren ersten Halbmarathon. Da sind sie. Sie sehen so aus, als könnten sie noch mal 21 km laufen. Tja, die sind halt fit!! 😉 Oder sie haben sich nicht angestrengt, wie auch immer das wird jetzt im Brauhaus ausgewertet. Prost und bis zum nächsten mal!!

Olli



2. Harz-Tour 2020, 28.-30.08.2020

Nach dem Vorgeschmack am Vor-Wochenende ging es am Freitagnachmittag direkt nach der Arbeit wieder Richtung Harz. Diesmal stand der Wind etwas günstiger als in der Vorwoche und so rollte es sehr gut bis nach Klostermansfeld. Dort wurden wir vorbildlich von der lieben Conny mit neuem Wasser und Energie versorgt. Nach wenigen Minuten Pause machten wir uns auf, um tiefer in den Harz vorzudringen. Über Siebigerode, Gorenzen, Wippra, Molmerswende/Abberode über Schielo bis nach Harzgerode. Highlight war natürlich der Anstieg bei Wippra, den wir jedoch sehr, sehr gut hochgeklettert sind.

Ein weiteres Sport-Highlight folgte am Samstag. Mandy hatte eine sehr schöne Radrunde für uns vorbereitet:

Sehr angenehme 85 km mit kleineren Pausen um z.B. leckeres DDR-Vanille-Eis zu mampfen waren ein tolles Erlebnis. Unvergessen die Abfahrt von Friedrichsbrunn Richtung Gernrode. Das war mega-geil. 🙂

Am Sonntag dann die Rückfahrt nach Dachritz: Diese erwies sich als schwerster Abschnitt, da wir sehr ordentlichen Seiten- bis Gegenwind hatten. Karsten hat super Arbeit im Wind geleistet, so dass ich meine Mühe hatte mit zu halten. Ein verdammt zäher Hund der Kerl.
Ein Sonderlob geht an dieser Stelle noch an mein liebes Frauli! 🙂
Sie hat sich das ganze Wochenende um die Kinder und zusammen mit Jilian um unser leibliches Wohl gesorgt. Danke auch an die Schackers für die Gastwirtschaft! 😀

Harz-Tour 2020 nach Klostermansfeld

Während Susi mit den Kindern per Auto nach Kloster fährt, schwinge ich mich mit Karsten aufs Rennrad, um die ca. 50 km abzuspulen.
Der Hinweg kostet dann doch mehr Kraft als gedacht, da wir mit sehr starken Gegenwind zu kämpfen haben.
Belohnt werden wir mit einem von Conny toll ausgerichteten Grill-Fest.
Die Rückfahrt entlohnt uns ebenfalls, da Karstens Aero-Laufräder immer wieder das typische 40 km/h-Summen ertönen lassen. 🙂
Alles in allem ein super Vor-Test für den Harzgerode-Trip nächste Woche.
(hoffentlich ist bis dahin Karstens „Hexenschuss“ verheilt)

Wir sind zurück! :)

boxerteufel ist wieder da! Nachdem wir seit 2016 etwas inaktiv waren starten wir mit einer neuen Internetpräsenz unter alt bekanntem Namen. Viel Spaß und auf bald!